ZalandO, LieferandO, TrivagO…Weiter sO?
Es passiert vor allem nachts! Wer ab 22 Uhr durch die TV-Landschaft zappt, insbesondere bei Privatsendern, der sieht sich massiven Angriffen des Buchstaben „O“ ausgesetzt. Nein, gemeint ist nicht ein Trash-Horror-Streifen à la „Angriff der Killertomaten“ oder ähnliches. Ich meine folgendes: Ein TV-Spot für ein Internetunternehmen jagt den anderen. Und alle haben eine Namensendung auf „O“. Bleibt man – erstarrt vor Schreck – einen ganzen Werbeblock dran, so offenbart sich das ungeahnte Ausmaß des Phänomens: Es geht hier mehr als um Trivago, Zalando, Lieferando und Co. Diese sind mittlerweile jedem bekannt. Nein, es drängt eine schier unendliche Reihe dieser Services auf den Markt. Sie heißen z. B. Maklaro, Momondo Mondomoto. Letztere haben sich offensichtlich besonders viele „O“s gegönnt. Hat das „O“ also schon eine nachgewiesen magische Wirkung, dass man lieber ein paar mehr davon nimmt?
Mal ehrlich, haben Sie sich auch schon gefragt, was das soll? Wie passt das in unsere Zeit, in der Innovation, Entrepreneurship, Agilität, der Wandel und der Aufbruch so vergöttert werden? Wie passt das mit Differenzierung zusammen? Ist den Entrepreneuren jeglicher Anspruch abhandengekommen? Oder gibt es doch triftige Gründe für diesen Trend? Im Folgenden ein Erklärungsversuch in Form von fünf (möglichen) Gründen für das Phänomen.
1.Gelernt ist gelernt
Marketingstrategen wissen es: Kreativität ist zwar wichtig. Aber sie kommt nur dann zum Zuge, wenn der Empfänger die Botschaft überhaupt empfangen will. Das will er heute fast nie. Er schützt sich vor dem gigantischen und allseits präsenten Information Overload. Man erreicht den Empfänger i. d. R. nur, wenn dieser die Botschaft im ersten Schritt blitzschnell mit Hilfe des Unterbewusstseins richtig einordnen kann. Das ist dann der Fall, wenn der Empfänger die Botschaft mit etwas „Gelerntem“ verknüpfen kann. Zalando, Trivago, Lieferando haben mittlerweile einen derart hohen Bekanntheitsgrad, dass die meisten Menschen „gelernt“ haben, dass es sich hier um Internetunternehmen handelt. Endet also ein Service, Start-up oder Unternehmensname auf „O“, so weiß der Empfänger, dass es sich wahrscheinlich um einen Internetservice handelt.
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2.Trittbrettfahrer-Effekt: Den Glanz der anderen für sich nutzen
Der Trittbrettfahrer-Effekt ist ähnlich wie der in Punkt 1 beschriebene Einordnungs-Effekt. Punkt 1 ist wichtig, damit überhaupt Empfängerbereitschaft entsteht. Aber nun kommen Gefühle ins Spiel. Hier beim Trittbrettfahrer-Effekt geht es aus Sicht des Senders darum, die hergestellte Kommunikationsverbindung emotional in die richtige Richtung zu lenken. Der Empfänger soll in Sekundenschnelle eine positive Assoziation mit den Namen verknüpfen. Auch das gelingt: Das „O“ ist mittlerweile zum Synonym für ein riesiges Angebot, Spitzenpreise und dauerhafte Verfügbarkeit geworden. Jeder kennt Zalando, Trivago und Co., egal ob man will oder nicht. Auch wenn der eine oder andere damit auch schlechte Erfahrungen gemacht haben mag – ein gemeinsamer Nenner bleibt: Der Erfolg! Das bedeutet, wenn man die obige Formel wieder aufgreift: Kommt ein Internetservice also wieder mit „O“ auf dem Markt, so verbinden wir damit unbewusst einen Internetservice, der erfolgreich (also „gut“) ist.
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3. Zeitgeist: Lieber ein „O“ statt ein „X“
Schließlich gibt es auch Trends, denen es zu folgen gilt. Was heute das “O“ ist, das war um die Jahrhundertwende der Buchstabe „X“. Hierfür wurde gerne aus der Endung „cs“ ein verkürztes, markantes „x“ kreiert. Als die mit dieser Zeit verbundene Maxime der „New Economy“ dann krachend zusammenfiel, hatten viele der Unternehmen mit dieser Endung eher ein Problem. Mittlerweile ist das nicht mehr so gravierend. Deshalb kommen sie gerade wieder, die Internetunternehmen mit „X“ als Endung, wie Mister Spex. Wie bei den „O“s greift man gerne auch mal zur doppelten Ausbaustufe, d. h. zu „XX“, wie es beispielsweise an my spexx zu sehen ist. Für die obige Formel heißt das: Ein Unternehmen mit der Endung „O“ suggeriert, dass es sich um ein erfolgreiches Internetunternehmen handelt, dass absolut „in“ ist und damit die Zielgruppe versteht.
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4. Das „O“ ist aus (Marketing)-psychologischer Sicht vorteilhaft
Nicht erst die Disziplin des Neuromarketings hat es nachgewiesen: Sätze, Wörter, Buchstaben können auf Menschen ganz unterschiedliche tiefenpsychologische Wirkung haben. Hier nur ein kleiner Auszug der vielen Interpretationen, die mit dem „O“ zusammenhängen. Das ,,O‘‘ dient häufig zum Ausdruck von Emotionen wie Schmerz, Freude oder Überraschung. Tendenziell steht ,,O‘ ‘eher für etwas großes, kräftiges und selbstbewusstes. Groß und stark – Adjektive, mit denen jedes Unternehmen gerne in Verbindung gebracht wird. Oft bildet das „O“ auch mit dem vorherigen Buchstaben eigene Wörter innerhalb des Namens, die z. B. eine versteckte Handlungsaufforderung bzw. Aktivierung adressieren. So ergibt sich i. V. m. „g“ ein „go“ (z. B. Limango) oder in Verbindung mit dem „d“ ein „do“ (do =machen).
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5. Nomen est Omen: Unternehmen mit „O“ als Vorbilder für die Gründer
Eine weniger fachliche Erklärung für den O-Mainstream könnte es auch sein, dass sich die Start-up-Gründer schlicht und ergreifend an denen orientieren, die mit ihren „O“-Unternehmen bereits große Erfolge erzielt haben. Es wird also weniger an die Zielgruppe gedacht bzw. gar nicht lange überlegt, sondern den Vorbildern nachgeeifert, in der Hoffnung die gleichen Erfolge zu feiern.
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Fazit
Die obigen Punkte zeigen, dass ein Internetunternehmen in der jetzigen Situation viel richtig macht, wenn es mit einem „O“ an den Start geht und dadurch (eventuell kalkuliert) einen Differenzierungsverlust in Kauf nimmt. Ohnehin ist jedem klar: Der Name ist nur ein kleiner Bestandteil des Erfolgs. Immer wieder haben Unternehmen in der Vergangenheit bewiesen, dass man es mit einem vermeintlich wenig differenzierenden Namen zu Weltruhm bringen kann. Berühmte Beispiele sind SAP oder IBM um nur zwei zu nennen (wenn Sie noch mehr suchen, der Artikel „Starke Marken auch ohne tolle Namen“ befasst sich speziell mit dieser Beobachtung). SAP steht für „Systeme Anwendungen Produkte“ und IBM für „International Business Machines“. Beides sind seit Jahrzehnten Weltkonzerne. Beide haben Namen, für die eine Naming-Agentur um ihr Honorar bangen müsste, wenn sie diese Namen ihren Auftraggebern vorschlagen würde…Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die O-Flut so weitergeht, solange nicht ein erdrutschartiges Ereignis (Krise, Mindset-Wechsel) für ein Umdenken sorgt.
Ach ja: Was kann man denen raten, die nachts zappen, in der Hoffnung dadurch müde zu werden, um – wie von Schlafexperten empfohlen – nicht zu wach ins Bett zu gehen? Fernseher aus. Lieber guten Sound hören, meinetwegen auch ein Buch lesen oder zur Not auch dann ins Bett gehen, wenn man noch nicht richtig müde ist. Es ist immer noch besser im Bett Schäfchen, statt vor dem Fernseher „O“s zu zählen.